Soziale Funktion und Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
Soziale Funktion und Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
ASS, soziale Angst und depressive Verstimmungen sind häufig auftretende Schwierigkeiten bei Menschen mit CdLS(109,137,152,154,165,166,167,168,169). Solche neurologischen oder psychischen Störungen scheinen nicht mit dem spezifischen Gen oder der speziellen Genmutation verknüpft zu sein, die das CdLS bei der Person verursacht (10,137,148,149,169). Da die meisten Menschen mit CdLS nicht in der Lage sind, über ihr Unwohlsein, ihr Verhalten oder ihre Gefühle zuverlässig Auskunft zu geben, kann es schwierig sein zu ermitteln, worunter sie gerade leiden. Häufig werden die Schwierigkeiten nur durch Beobachtung des Verhaltens bzw. durch Berichte von Eltern oder Betreuungspersonen erkannt. Verhaltensweisen, die auf Schwierigkeiten der Person hindeuten, können das Vermeiden von Augenkontakt, Wegstoßen oder Schreien sein (80,170,171). Solches Verhalten wird oft mit dem sozialen Setting in Zusammenhang gebracht und kann durch Belastungen bei den Eltern bedingt sein (109,137).
Etwas weniger als die Hälfte der Personen mit CdLS zeigt Symptome einer ASS (159). Zu den drei wichtigsten Merkmalen der ASS gehören:
- Geringe oder ungewöhnliche Fertigkeiten der sozialen Interaktion
- Verzögerte Entwicklung oder Schwierigkeiten in der verbalen und nonverbalen Kommunikation (z. B. Gesten, auf etwas weisen oder zeigen)
- Vorliegen von repetitivem Verhalten
Bei durch NIPBL-Mutation verursachtem CdLS scheint die ASS mit einem schlechter ausgeprägten adaptiven Verhalten verknüpft zu sein (10). Eine ASS ist in Betracht zu ziehen, wenn eine Person mit CdLS soziale, kommunikative und Verhaltenseinschränkungen an den Tag legt, die über das hinausgehen, was bei anderen Personen mit entsprechender kognitiver Fähigkeit zu erwarten wäre.
Symptome einer ASS bei CdLS sind nicht immer direkt mit dem Grad der Intelligenzminderung verknüpft (150,172,173). Forschungen haben ergeben, dass im Vergleich zur ASS die Personen mit CdLS zwar viele Ähnlichkeiten, aber auch kleine Unterschiede in spezifischen Bereichen der Kommunikation und sozialen Interaktion zeigen (173). Diese kleinen Unterschiede beziehen sich insbesondere auf soziale Angst (Sorgen), extreme Scheuheit und selektiven Mutismus (nicht sprechen in sozialen Situationen, wo das Sprechen erwartet wird, z. B. in der Schule), allesamt häufigere Merkmale bei CdLS (2,65,109,150,152). Die Unterschiede in der Kommunikation und sozialen Interaktion bei CdLS und ASS treten mit zunehmendem Alter und mit steigenden sozialen Anforderungen deutlicher zutage. Soziale Motivation, soziale Kommunikation und Fähigkeit zur Freude sind bei CdLS und ASS ähnlich ausgeprägt (175).
Eine klinische Diagnose einer ASS ist bei allen Personen mit CdLS ein Leben lang in Betracht zu ziehen, wobei untypische Ausprägungen zu berücksichtigen sind (R56). Für die Untersuchung auf ASS bei CdLS können standardisierte ASS-Diagnosewerkzeuge herangezogen werden. Wichtig sind außerdem detaillierte Beobachtungen, um ASS und soziale Funktion korrekt beurteilen zu können und um den Grad und die Merkmale der kommunikativen, adaptiven und sprachlichen Fähigkeiten einer Person mit CdLS zu ermitteln (R57). ASS-spezifische Interventionen sind bei allen Personen mit CdLS zu erwägen; jedoch müssen bei Interventionen in Bezug auf die sozialen Funktionen die CdLS-spezifischen Aspekte von Kommunikation und sozialer Interaktion unbedingt einbezogen werden (65,66,174) (R58).